1. Mai: FCM schlägt Lok im Finale
BLICK IN DIE HISTORIE – FDGB-Pokal 1972/73
01.05.1973 FINALE 1. FC MAGDEBURG – 1. FC LOKOMOTIVE LEIPZIG 3:2
Es gibt Fußballspiele, die scheinen in ihrer Dramaturgie und Dramatik so einzigartig zu sein, dass man sich nicht vorstellen kann, einige Jahre später noch einmal fast eine Kopie des denkwürdigen Spieles zwischen beiden Mannschaften zu erleben. Um so weniger, wenn es sich um ein nationales Pokalendspiel handelt.
Im Finale von 1964 lieferten sich der SC Aufbau Magdeburg und der SC Leipzig eine schier unglaubliche, hochdramatische Hitzeschlacht. Die Leipziger führten bereits mit 2:0, doch die Magdeburger kämpften sich zurück und kamen in der dritten Minuten der Nachspielzeit noch zum 3:2 Siegtreffer durch Hermann Stöcker.
Nun trafen im FDGB-Pokalfinale von 1973 beide damaligen Gegner, wenn auch jetzt als Fußballclubs, erneut aufeinander. Und wie schon neun Jahre zuvor hieß der Endspielort am 1. Mai Dessau.
Die Rolle des Favoriten hatte diesmal der 1. FC Magdeburg inne. Immerhin hatten die Elbestädter beide Spiele in der Meisterschaft mit 4:0 und 3:0 gegen die Lok-Elf gewonnen. In der Oberligatabelle lag man vor dem Spiel auf Platz 3, Leipzig dagegen auf Platz 7. Auch wenn man die Finalstatistik beider Mannschaften zu Hilfe nahm, sprachen die Vorzeichen eindeutig für die Elbestädter, die alle drei bisherigen Endspielteilnahmen siegreich gestalten konnten. Der 1. FC Lok stand zuvor bereits zwei Mal in einem FDGB-Pokalfinale, verlor aber beide Spiele. Ihre „Generalproben“ drei Tage zuvor gewannen beide Mannschaften. Lok behielt im Ortsderby gegen Chemie mit 1:0 die Oberhand, während die Magdeburger mit 3:1 in Frankfurt/Oder siegreich blieben.
"Viertel Pokaltriumph des 1. FCM" titelte die FUWO nach dem Finale.
Vor dem Spiel verblüffte Schlitzohr Heinz Krügel wieder einmal alle Experten. So bot er Jürgen Pommerenke, der sich vor sechs Wochen im Training eine schwere Augenverletzung zuzog und noch vor zwei Wochen im Krankenhaus lag, überraschenderweise in der Startformation auf. Lok Trainer Scherbaum standen dagegen dicke Sorgenfalten im Gesicht, musste er doch auf seinen Kapitän Gießner und Nationalstürmer Löwe wegen Gelbsperren verzichten.
Doch Pokalspiele haben bekanntlich ihre eigenen Gesetze und so dominierten in der ersten Viertelstunde die Blau-Gelben das Geschehen. Bereits nach fünf Minuten konnte Lok zum ersten Mal jubeln. Frenzel verwertete eine Kopfballvorlage von Matoul zum Führungstreffer. Und der Sturmlauf der Leipziger ging zunächst weiter. Fast hätte der FCM wie schon 1964 einem 0:2 Rückstand hinterher rennen müssen, doch Jürgen Achtel konnte in der 15. Minute einen Matoul-Schuss für seinen bereits geschlagenen Torhüter gerade noch von der Linie kratzen. Diese Aktion schien die Magdeburger endlich aufzuwecken. Drei Minuten später hatte Jürgen Sparwasser die erste Tormöglichkeit für die Blau-Weißen, doch sein Schuss ging knapp am Leipziger Kasten vorbei. Kurz darauf legte sich Seguin, der zehn Tage zuvor im Heimspiel gegen Jena eine Ecke direkt verwandeln konnte, den Ball zur Ecke bereit. Seine Eingabe konnte Manfred Zapf per Kopf wuchtig zum Ausgleich einköpfen. Dabei räumte er im Fünfmeterraum Lok-Torhüter Friese ab und hatte Glück, dass Schiedsrichter Riedel dies nicht als Foulspiel wertete. Jetzt bekamen die Krügel-Schützlinge das Spiel so langsam in den Griff, doch die große Dynamik der Anfangsminuten war erst einmal verflogen. Bis zum Wechsel konnten auf beiden Seiten keine nennenswerten Aktionen mehr verzeichnet werden.
Auszug aus der damaligen FUWO.
In der 2. Halbzeit erwischten die Magdeburger den besseren Start. In der 49. Minute konnte sich Jürgen Sparwasser einen Steilpass von Enge erlaufen und zum Führungstreffer verwandeln. Jetzt schien das Spiel den erwarteten Verlauf zu nehmen. Die Magdeburger dominierten nun Spiel und Gegner. Doch der FCM verpasste es, aus seiner Überlegenheit auch etwas Zählbares zu erarbeiten. Die besten Gelegenheiten dazu verpassten Seguin (64.) und Mewes (69.). Denn noch hatten sich die Sachsen nicht aufgegeben. Nach einem Konter konnte Altmann eine Rückgabe von Frenzel zum Ausgleich nutzen. Das Spiel schien eine erneute Wendung zu nehmen und erinnerte in der Spannung und Dramatik an das Finale von 1964. Die Lok-Elf wirbelte minutenlang die Magdeburger Abwehr auf und drängte auf eine Entscheidung in der regulären Spielzeit.
Zweimal hatten die Leipziger Anhänger unter den Zuschauern den Torschrei schon auf den Lippen. Zunächst verfehlte Matoul nach einer Fritsche-Eingabe das Tor von Uli Schulze um Zentimeter (78.), dann verpasste Altmann (82.) mit einem Schuss aus dem Hinterhalt ebenfalls haarscharf die Führung. Es folgte die 86. Minute: Detlef Enge eroberte an der eigenen Grundlinie den Ball, marschierte über das ganze Spielfeld und bediente mustergültig Sparwasser, der seinem Gegenspieler Köditz entwischte und das Leder unhaltbar an Friese vorbei ins Tor schlenzte.
Noch war der 4. Pokalsieg nicht in Sack und Tüten. Lok versuchte sich noch einmal mit aller Macht gegen eine erneute Finalniederlage zu wehren. Doch als erneut Altmann mit einem Gewaltschuss eine Minute vor Abpfiff das FCM-Tor haarscharf verfehlte, war es endlich vollbracht. Genau wie 1964 siegten die Magdeburger nach einem ähnlich dramatischen und nervenaufreibenden Spiel mit 3:2 und ließen sich von ihrem etwa 10.000 Mann starken Anhang (bereits 8.000 Karten gingen im Vorverkauf in Magdeburg weg) gebührend feiern. Weder Mannschaft noch Anhängerschaft ahnten zu diesem Zeitpunkt, dass an diesem Tag ein Weg begann, der ein Jahr später mit dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte enden sollte.
Statistik
1. FC Magdeburg (weiße Hose / blau-weiß längstgestreiftes Hemd): Schulze – Zapf – Enge, Decker, Achtel – Seguin, Tyll, Pommerenke, Abraham (75. Hermann) – Sparwasser. Mewes
Trainer: Heinz Krügel
1. FC Lokomotive Leipzig: (blaue Hose / gelbes Hemd mit blauem Längststreifen): Friese – Geisler – Fritsche, Gröbner, Sekora – Köditz, Moldt, Altmann – Kupfer (72. Naumann), Frenzel, Matoul
Trainer: Horst Scherbaum
Tore: 0:1 Frenzel (5.), 1:1 Zapf (19.), 2:1 Sparwasser (49.), 2:2 Altmann (73.), 3:2 Sparwasser (86.)
Zuschauer: 30.000 im Paul-Greifzu-Stadion, Dessau
FCM-Trainer Heinz Krügel nach dem Spiel: „Ein Kompliment dem 1. FC Lok, der sich als gleichwertiger, hartnäckiger Partner erwies und uns wahrlich alles abverlangte, Er besaß die gleichen spielerischen Anteile; wir wußten jedoch unsere Chancen besser zu nutzen. Ich denke, es war ein würdiges Pokalendspiel; voller Tempo, Spannung, dramatischer Akzente, und es blieb bis in die Schlußphase hinein offen. Wir hätten die Partie nach dem 2:1 schon klar für uns entscheiden müssen. Hier wirkten wir ausgereifter, besaßen im Mittelfeld deutliche Vorteile und hatten den Partner sicher im Griff. Ich meine aber, insgesamt erreichte meine Mannschaft nicht ihre beste Form. Der 1. FC Lok dagegen steigerte sich beträchtlich. Erfreulich, daß in beiden Mannschaften viele junge, talentierte Burschen mit bemerkenswerten Leistungen auf sich aufmerksam machten.“
Wussten Sie schon ….?: dass der 1. FC Magdeburg in drei von seinen sieben siegreich gestalteten FDGB-Pokalendspielen zunächst in Rückstand geriet. Gegen Jena (1965) und Lok Leipzig lag man jeweils 0:1 zurück, gegen den SC Leipzig mussten die Magdeburger in ihrem ersten Endspiel 1964 sogar ein 0:2 wettmachen.