Der Beginn einer
unglaublichen Reise
Das FDGB-Pokalfinale 1973
Es gibt Fußballspiele, die scheinen in ihrer Dramaturgie und Dramatik so einzigartig zu sein, dass man sich nicht vorstellen kann, dass es einige Jahre später noch einmal fast eine Kopie des denkwürdigen Spieles zwischen beiden Mannschaften geben wird. Umso weniger, wenn es sich um ein nationales Pokalendspiel handelt.
Im Finale von 1964 lieferten sich der SC Aufbau Magdeburg und der SC Leipzig eine schier unglaubliche, hochdramatische Hitzeschlacht. Die Leipziger führten bereits mit 2:0, doch die Magdeburger kämpften sich zurück und kamen in der dritten Minute der Nachspielzeit noch zum 3:2 Siegtreffer durch Hermann Stöcker.
Nun trafen im FDGB-Pokalfinale von 1973 beide damaligen Gegner, wenn auch jetzt als Fußballclubs, erneut aufeinander. Und wie schon neun Jahr zuvor hieß der Endspielort Dessau. Die Rolle des Favoriten hatte diesmal der 1. FC Magdeburg. Immerhin hatten die Elbestädter beide Spiele in der Meisterschaft mit 4:0 und 3:0 gegen die Lok-Elf gewonnen. In der Oberligatabelle lag man vor dem Spiel auf Platz 3, Leipzig dagegen auf Platz 7. Auch wenn man die Finalstatistik beider Mannschaften zu Hilfe nahm, sprachen die Vorzeichen eindeutig für die Elbestädter, die alle drei bisherigen Endspielteilnahmen siegreich gestalten konnten. Die Lok-Elf stand zuvor auch schon zweimal in einem FDGB-Pokalfinale, verlor aber beide Spiele. Ihre „Generalproben“ drei Tage zuvor gewannen beide Mannschaften. Lok behielt im Ortsderby gegen Chemie mit 1:0 die Oberhand, während der FCM 3:1 in Frankfurt/Oder siegreich blieb.
Vor dem Spiel verblüffte Heinz Krügel wieder einmal alle Experten. So bot er Jürgen Pommerenke, der sich vor sechs Wochen im Training eine schwere Augenverletzung zuzog und zwei Wochen zuvor noch im Krankenhaus lag, überraschenderweise in der Startformation auf. Lok-Trainer Scherbaum standen dagegen dicke Sorgenfalten im Gesicht - musste er doch auf seinen Kapitän Gießner und Nationalstürmer Löwe wegen Gelbsperren verzichten.
Doch Pokalspiele haben bekanntlich ihre eigenen Gesetze und so dominierten in der ersten Viertelstunde die Blau-Gelben das Geschehen. Bereits nach fünf Minuten konnte Lok zum ersten Mal jubeln. Frenzel verwertete eine Kopfballvorlage von Matoul zum Führungstreffer. Und der Sturmlauf der Leipziger ging zunächst weiter. Fast hätte der FCM wie schon 1964 einem 0:2-Rückstand hinterherrennen müssen, doch Jürgen Achtel konnte in der 15. Minute einen Matoul-Schuss für seinen bereits geschlagenen Torhüter gerade noch von der Linie kratzen.
Diese Aktion schien die Magdeburger endlich aufzuwecken. Drei Minuten später hatte Jürgen Sparwasser die erste Tormöglichkeit für die Blau-Weißen, doch sein Schuss ging knapp am Leipziger Kasten vorbei. Kurz darauf legte sich Seguin, der zehn Tage zuvor im Heimspiel gegen Jena eine Ecke direkt verwandeln konnte, den Ball zum Eckball hin. Seine Eingabe konnte Manfred Zapf per Kopf wuchtig zum Ausgleich einköpfen. Dabei räumte er im Fünfmeterraum Lok-Torhüter Friese ab und hatte Glück, dass Schiedsrichter Riedel dies nicht als Foulspiel wertete. Jetzt bekamen die Krügel-Schützlinge das Spiel so langsam in den Griff, doch die große Dynamik der Anfangsminuten war erst einmal verflogen. Bis zum Wechsel waren dann auch auf beiden Seiten auch keine nennenswerten Aktionen mehr zu verzeichnen.
In der zweiten Halbzeit hatten die Magdeburger den besseren Start. In der 49. Minute konnte sich Sparwasser einen Steilpass von Enge erlaufen und zum Führungstreffer verwandeln. Jetzt schien das Spiel den erwarteten Verlauf zu nehmen. Die Magdeburger dominierten nun Spiel und Gegner. Doch der FCM verpasste es aus seiner Überlegenheit auch etwas Zählbares zu machen. Die besten Gelegenheiten dazu verpassten Seguin (64.) und Mewes (69.).
Doch noch hatten sich die Sachsen nicht aufgegeben. Nach einem Konter konnte Altmann eine Rückgabe von Frenzel zum Ausgleich nutzen. Nun schien das Spiel eine erneute Wendung zu nehmen und erinnerte in der Spannung und Dramatik an das Finale von 1964. Die Lok-Elf wirbelte minutenlang die Magdeburger Abwehr durcheinander und drängte auf eine Entscheidung in der regulären Spielzeit. Zweimal hatten die Leipziger Anhänger unter den Zuschauern den Torschrei schon auf den Lippen. Doch zunächst verfehlte Matoul nach einer Fritsche-Eingabe das Tor von Uli Schulze um Zentimeter (78.), dann verpasste Altmann (82.) mit einem Schuss aus dem Hinterhalt ebenfalls haarscharf die Führung. Dann kam die 86. Minute: Detlef Enge eroberte an der eigenen Grundlinie den Ball, marschierte über das ganze Spielfeld und bediente mustergültig Jürgen Sparwasser, der seinem Gegenspieler Köditz entwischte und den Ball unhaltbar an Friese vorbei ins Tor schlenzte.
Doch noch war der vierte Pokalsieg nicht in Sack und Tüten. Lok versuchte sich noch einmal mit aller Macht gegen eine erneute Finalniederlage zu wehren. Doch als erneut Altmann mit einem Gewaltschuss eine Minute vor Abpfiff das FCM-Tor haarscharf verfehlte, war es endlich vollbracht. Genau wie 1964 siegten die Magdeburger nach einem ähnlich dramatischen und nervenaufreibenden Spiel mit 3:2 und ließen sich von ihrem etwa 10.000 Mann starken Anhang (bereits 8.000 Karten gingen im Vorverkauf in Magdeburg weg) gebührend feiern.
Doch weder Mannschaft noch Anhängerschaft ahnten zu diesem Zeitpunkt, dass an diesem Tag eine Reise begann, die ein Jahr später mit dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte enden sollte.
Statistik:
1. FC Magdeburg (weiße Hose / blau-weiß längstgestreiftes Hemd): Schulze– Zapf – Enge, Decker, Achtel – Seguin, Tyll, Pommerenke, Abraham (75. Hermann) – Sparwasser, Mewes
Trainer: Heinz Krügel
1. FC Lok Leipzig: (blaue Hose / gelbes Hemd mit blauem Längststreifen): Friese – Geisler – Fritsche, Gröbner, Sekora – Köditz, Moldt, Altmann – Kupfer (72. Naumann), Frenzel, Matoul
Trainer: Horst Scherbaum
Tore: 0:1 Frenzel (5.) 1:1 Zapf (19.) 2:1 Sparwasser (49.) 2:2 Altmann (73.) 3:2 Sparwasser (86.)
Zuschauer: 30.000 (Paul-Greifzu-Stadion, Dessau)
Fotos: Archiv