„Du machst, was du liebst.“
Blau-Weiß interviewt: Jürgen Gjasula
16 Profijahre, zehn Ligen, ein Champions-League-Duell gegen Messi - Jürgen Gjasula kann bereits auf eine ereignisreiche Karriere mit Stationen in Deutschland, Bulgarien und der Schweiz zurückblicken. Nachdem der Mittelfeldmann zu Beginn des Jahres nicht berücksichtigt wurde, spielt er mittlerweile eine zentrale Rolle im System von Cheftrainer Christian Titz. Bei „Blau-Weiß interviewt“ erinnert sich der 35-Jährige an heiße Bolzplatz-Duelle, erklärt seine Rolle im Team und spricht über die Veränderungen des Fußballs.
„Gjasu“, du bist der erfahrenste Spieler im Kader. Wie geht es dir aktuell?
Trotz des Alters fühle ich mich gut und bin fit. Ich bin froh, dass ich aktuell keine körperlichen Probleme habe.
Wir nehmen dich immer als sehr professionellen Spieler wahr, der sich vor- und nachbereitet und sehr auf seinen Körper achtet. Wann fing das bei dir an?
Zu Beginn meiner Karriere war das nicht so sehr der Fall. In den vergangenen Jahren habe ich jedoch angefangen, mich mehr mit meinem Körper und auch mit der Ernährung zu beschäftigen. Je älter man wird, desto wichtiger ist die Pflege des Körpers. Er ist dein Kapital.
Du bist in Freiburg Weingarten aufgewachsen, deine Familie kam damals aus Albanien nach Deutschland. Nimm uns einmal kurz mit in deine Kindheit.
Als ich 1985 in Albanien geboren wurde, herrschte dort eine Diktatur. Um mir und meinem Bruder bessere Zukunftsperspektiven zu ermöglichen, sind meine Eltern mit uns fünf Jahre später über Italien nach Deutschland geflüchtet. Meine Kindheit habe ich dann in Freiburg verbracht.
Dort hattest du deine ersten Berührungspunkte mit dem Fußball. Wie ging es damals auf dem Bolzplatz so ab?
Wir haben dort mit mehreren Familien anderer Nationalitäten in einem Hochhaus gewohnt. Wir Kinder trafen uns immer unten auf dem Bolzplatz. Da ging es ordentlich zur Sache. Als Kind liebst du es einfach, mit anderen zu spielen und Spaß zu haben. Daraufhin begann ich dann – mit der Erlaubnis meiner Eltern – bei meinem ersten Verein, dem PSV Freiburg, zu spielen.
„Es braucht unbedingten Willen und auch ein Quäntchen Glück.“
Gibt es Erfahrungswerte aus deiner Bolzplatz-Zeit, von denen du heute noch profitierst?
Durchsetzungsfähigkeit ist eine Eigenschaft, die ich mitgenommen habe. Oft haben wir mit älteren und stärkeren Kindern gespielt, gegen die wir uns beweisen mussten. Das hilft mir auch heute noch.
Hättest du damals gedacht, dass du einmal auf elf Karrierestationen zurückblicken und mit dem Fußball dein Geld verdienen kannst?
Viele Kinder wünschen sich, später Profifußballer zu werden. Als kleiner Junge habe ich mir immer vorgestellt, wie toll es wäre, den Fußball zum Beruf zu machen. Du machst, was du liebst und kannst gleichzeitig für deine Familie sorgen. Es braucht unbedingten Willen und auch ein Quäntchen Glück, um sich den Traum vom Fußballprofi zu verwirklichen.
Seit eineinhalb Jahren wohnst du nun in Magdeburg. Wie gefällt dir das Leben in unserer Stadt?
Ich habe mich sehr gut eingelebt und fühle mich hier wohl. Die Stadt ist nicht riesig und ähnelt von der Größe her ungefähr meiner Heimat Freiburg. Es gibt schöne Ecken und die Leute sind freundlich und offen. Vor Corona war es natürlich noch schöner, als regelmäßig viele Fans im Stadion waren. Ich hoffe, dass das bald wieder der Fall sein wird.
Unter Cheftrainer Christian Titz nimmt „Gjasu“ eine wichtige Rolle im Mittelfeld ein. (Foto: 1. FCM / Norman Scholz)
Dein Bruder Klaus wohnt in Hamburg und spielt für den Hamburger SV. Wie intensiv ist euer Austausch?
Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, telefonieren nahezu täglich miteinander. Als älterer Bruder trage ich auch ein Stück weit Verantwortung und stehe ihm bei wichtigen Entscheidungen mit Rat und Tat zur Seite. Bis vor kurzem war er leider verletzt, ist jetzt aber wieder im Training und kann dem Verein hoffentlich bald wieder helfen.
„Ich bin ein selbstreflektierender Mensch.“
Blicken wir auf deine sportliche Situation: Zu Beginn des Jahres bekamst du wenig Einsatzzeit. Wie hast du diese Situation erlebt?
Für mich war es eine neue und gleichzeitig schwierige Situation. Ich will natürlich auf dem Platz stehen und der Mannschaft helfen. Der Fußball ist sehr schnelllebig, in kurzer Zeit kann viel passieren. Ich musste es akzeptieren, habe trotzdem weiter Gas gegeben und mich fit gehalten. Speziell den jungen Spielern rate ich, immer dranzubleiben, im Training das Maximum zu geben und sich so für mehr Spielzeit zu empfehlen.
Wie nachdenklich hat dich diese Phase gemacht?
Natürlich denkt man darüber nach. Ich bin generell ein selbstreflektierender Mensch, der sich Gedanken über gute und schlechte Spielszenen macht. Ich frage mich auch immer, wie ich der Mannschaft helfen kann – sowohl sportlich als auch mit Gesprächen oder guter Stimmung.
Cheftrainer Christian Titz hat dich wieder in die Startelf berufen. Wie sehr hast du darauf gebrannt, endlich wieder ran zu dürfen?
Für mich hat sich die Zeit seit meinem letzten Einsatz wie eine Ewigkeit angefühlt. Mit dem Trainerwechsel ging es für alle Spieler wieder bei null los, jeder hatte die Chance sich zu beweisen. Ich habe diese Chance genutzt und wieder einen Platz in der Mannschaft bekommen.
Was genau verlangt der Trainer von dir?
Ich spiele auf einer zentralen Position, auf der viel Kommunikation gefragt ist. Aufgrund meines Alters und der Erfahrung soll ich sowohl auf als auch neben dem Spielfeld Verantwortung übernehmen. Ich hatte mit ihm viele gute Gespräche und versuche das, was er von mir und im Endeffekt von uns allen verlangt, bestmöglich umzusetzen. Es brauchte etwas Zeit, bis die Mannschaft seine Philosophie verinnerlicht hat. Wir sind auf einem guten Weg.
Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft weiterhin im Griff. Wie sehr schätzt du es, dass du als Fußballer deinen Beruf weiterhin ausüben darfst?
Darüber bin ich sehr froh. Ich genieße die Zeit während des Trainings und an den Spieltagen sehr. Ich hoffe natürlich, dass sich die Situation möglichst bald bessert und auch die Menschen, die aktuell ihrem Beruf nicht nachgehen dürfen, dann wieder arbeiten können.
„Viele Spiele sind unvorhersehbarer geworden.“
Über 16 Jahre bist du mittlerweile im Geschäft. Man hat den Eindruck, dass du mindestens einen Spieler jedes Gegnerteams persönlich kennst. Wie groß ist deine Trikotsammlung?
In meiner Karriere bin ich viel rumgekommen und habe auf und neben dem Fußballplatz viele Menschen kennengelernt. Mit einigen meiner Kollegen sind über die Jahre hinweg auch Freundschaften entstanden. So viele Trikots sind es zwar nicht, aber jedes einzelne ist eine schöne Erinnerung.
In deiner Karriere hast du bereits einiges erlebt, im Jahr 2004 absolviertest du dein erstes Bundesligaspiel für den 1. FC Kaiserslautern. Inwiefern hat sich der Fußball mittlerweile verändert?
Der Fußball ist schneller, intensiver und dynamischer geworden. Als ich begonnen habe, gab es noch den Spielmacher – einen typischen Zehner. Heutzutage wird das Mittelfeld von sogenannten Box-to-Box-Spielern dominiert, die sowohl defensiv arbeiten als auch Power nach vorne entwickeln. Viele Spiele sind unvorhersehbarer geworden, Vereine und Nationalmannschaften haben sich weiterentwickelt. Außerdem bekommen heutzutage verstärkt junge Spieler ihre Chancen. Durch die verstärkte Jugendarbeit der Vereine entstehen ganz neue Möglichkeiten, das war zu meiner Anfangszeit noch nicht so weit entwickelt.
Wie sehen deine Planungen für die Zeit nach deiner aktiven Karriere aus?
Natürlich möchte ich noch möglichst lange spielen. Wenn ich irgendwann merke, dass es nicht mehr geht, höre ich auf. Solange ich aber das Gefühl habe, dass ich meiner Mannschaft noch helfen und Impulse geben kann, möchte ich weitermachen. Für die Zeit danach bin ich mir noch nicht sicher, würde jedoch gern weiterhin im Fußballgeschäft bleiben. Vielleicht ergeben sich auch gemeinsame Projekte mit meinem Bruder.
Das ausführliche Video-Interview mit Jürgen Gjasula befindet sich auf FCM-tv: